Worum geht’s?
Um die Fragen: Was taugt Alternativmedizin? Was treiben Heilpraktiker? Was hat Homöopathie mit Esoterik zu tun? Was Impfskepsis mit Verschwörungstheorien? Wieso bieten auch Ärzte Grenzwissenschaften und Paramedizin an? Und warum ist Alternativmedizin überhaupt Paramedizin? Aber auch: Was kann die Vernunftmedizin von der Paramedizin lernen? (Und umgekehrt!)
Vor einigen Jahren war ich selbst angefixt von alternativmedizinischen Verheißungen und habe eine Heilpraktikerausbildung absolviert. Mit dem Ergebnis, dass ich seither von der Naturheilkunde und Paramedizin geheilt bin. Über meine zweifelhaften Erfahrungen während der Ausbildung und über die Hintergründe der sog. Alternativmedizin habe ich ein Buch geschrieben: Unheilpraktiker. Wie Heilpraktiker mit unserer Gesundheit spielen. Dieses Blog dreht sich jedoch weniger um das Buch, als allgemein um den Komplex Hokuspokus in der Medizin. Es ist sozusagen eine Fortsetzung des Buch-Themas im digitalen Raum.
Die Schulmedizin ist also toll und die Alternativmedizin blöd?
Jein. Ich glaube mitnichten, dass die sog. Schulmedizin ein Allheilmittel ist. Gerade bei diffusen sowie psychosomatischen Beschwerden kommt sie rasch an ihre Grenzen. Auch bin ich mir bewusst, dass es Medizin- und Pharmaskandale gibt. Aber: Die akademische Medizin kann unglaubliches vollbringen, nämlich Menschenleben retten, schwerste Symptome lindern und oftmals vollständig heilen. Die Alternativmedizin kann dafür bislang keine fundierten Beweise erbringen. Was sie allerdings kann: Verzweifelten Patienten Hoffnung geben, ihnen zuhören, sie annehmen, sie gut behandeln und durch die Zutat magisches Denken mitunter heilsame Effekte erzielen.
Was ist daran so schlimm?
Auf den ersten Blick gar nichts. Bei psychosomatischen Beschwerden und harmlosen Erkrankungen ist es auch kein Problem, mehr oder minder wirkungslose Therapien anzuwenden, da sie ja wie erwähnt, wohltuende Wirkungen haben können. Allerdings hat die Naturheilkunde ihr klassisches Behandlungsspektrum wie Befindlichkeitsstörungen und psychosomatische Beschwerden längst verlassen und tummelt sich unter dem großspurigen Titel ‚Alternativmedizin‘ im klassischen Bereich der echten Medizin: Krebs, Autoimmunerkrankungen, Asthma, Diabetes und schwere psychische Erkrankungen. Insbesondere Heilpraktiker versprechen oftmals, eine wahre Ursache dieser Krankheiten ausfindig machen zu können und somit Heilung zu erzielen. Wohlgemerkt mit Methoden, die schon vor Jahrhunderten lediglich ein Notbehelf waren, weil es nichts Wirkungsvolleres gab.
Außerdem: Heilpraktiker ist kein anerkannter Ausbildungsberuf. Es gibt weder eine verbindliche Ausbildungsordnung, noch Kontrollinstanzen in Form von Kammern usw. Und das ist wirklich schlimm. Weil sich von amtlicher Seite niemand dafür interessiert, dass Heilpraktikerschulen Brutstätten von Impfgegnern und Verschwörungstheoretikern sind. So habe ich es jedenfalls erlebt. Das klingt hart, weil die meisten Heilpraktiker sehr freundliche und einfühlsame Persönlichkeiten sind. Aber zu behaupten, Masern sind heutzutage harmlos, wir seien alle vergiftet und die Pharmaindustrie will uns nur Böses, ist nunmal höchst unseriös.
Egal, mir hat die Alternativmedizin geholfen!
Man kann niemandem seine Erfahrungen nehmen. Aber man sollte sich auch nicht betrügen lassen. Wenn Ihnen ein Heilpraktiker (oder leider auch Arzt) erzählt, er können mittels Bioresonanz ihre Allergien aufspüren und löschen, dann belügt er Sie nach Strich und Faden. Wenn das möglich wäre, dann wären tatsächlich Science-Fiction-Szenarien in der Medizin denkbar. Wenn die alternativmedizinischen Verfahren so funktionieren würden, wie es von ihren Vertretern behauptet wird, dann hieße das im Rückschluss, dass Physik, Chemie und Biologie komplett irren. Aber nach Stand der Wissenschaft gibt es weder Feinstofflichkeit, noch magische Kräfte, weder ein Wassergedächtnis, noch Erdstrahlen, weder Fernwirkungen, noch eine universelle Lebensenergie. Was es jedoch gibt: Placebo, Autosuggestion und Glaube. Erfreulich, wenn sie zur Heilung beitragen. Schlimm, wenn es nicht funktioniert und eine Krankheit verschleppt wird. Ein sehr bedenklicher Nebeneffekt der Heilpraktikerei ist das Kolportieren von irrationalem Denken und Esoterik.
Was hat denn bitte schön Alternativmedizin mit Esoterik zu tun?
Leider sehr viel. Die Alternativmedizin wirbt mit den Begriffen „sanft“, „natürlich“, „nebenwirkungsarm“. Diese drei Dinge treffen in der Tat sehr häufig zu, da die meisten alternativmedizinischen Therapien vollkommen wirkungslos sind. Das heißt aber nicht, dass sie nicht einen heilenden Effekt auslösen können, siehe Placebo. Es gibt jedoch ein gigantisches Kommunikationsproblem: Heilpraktiker und naturheilkundlich arbeitende Ärzte behaupten einen direkten Wirkmechanismus ihrer Therapien. Für die allermeisten Therapien (wirklich für fast alle!) konnten auch nach jahrzehntelanger Forschung und unzähliger, hochwertiger Studien keine Beweise für die Wirksamkeit erbracht werden. Statt aber ihren Patienten zu vermitteln, dass die Therapien zwar nicht auf evidenzbasiertem Fundament stehen – was dem Heilerfolg keinen Abbruch tun muss, denn Placebo funktioniert sogar bei Wissen – behaupten die Alternativheiler irrationalen Quark: Fernwirkungen, Übersinnliches, Energetisches und immer wieder, die Wissenschaft sei eben noch nicht so weit. Was nichts als eine sehr schwache Schutzbehauptung ist.
Wie kann man nur einen ganzen Berufsstand verunglimpfen?
Ich nenne es nicht Verunglimpfung, sondern Aufklärung. Selbstverständlich gibt es verantwortungsbewusste Heilpraktiker, die ihre Kompetenzen nicht überschreiten. Und sofern sie keine Impfängste schüren, gegen die ‚Schulmedizin‘ wettern oder abergläubischen Schmarrn erzählen, habe ich auch keine größeren Probleme mit ihnen. Leider sind mir solche Heilpraktiker nicht begegnet.
Buch und Blog dienen nicht der puren Diskreditierung von Heilpraktikern und Alternativmedizinern. Ich entwickle im Buch sogar Gedanken für das Berufsbild des Genesungsbegleiters. Und schon gar nicht geht es mir um Verächtlichmachung von Patienten. Ganz im Gegenteil. Aus eigener leidvoller Erfahrung weiß ich, dass die Alternativmedizin oft als letzter Rettungsanker erscheint. Ich möchte ein Bewusstsein dafür schaffen, dass das sehr oft ein Trugbild ist und dass die Alternativmedizin fast ausschließlich mit Trugbildern arbeitet.
Was berechtigt Sie überhaupt zu Kritik an der Alternativmedizin? Sie sind doch überhaupt keine Medizinerin!
Man muss weder Naturwissenschaften noch Medizin studiert haben, um skeptisch zu werden angesichts Zuckerkügelchen, Heilungsversprechen, kosmischen Schwingungen etc. Außerdem schützt auch ein Studium naturwissenschaftlicher Disziplinen nicht vor irrationaler Verirrung. Was ich vorweisen kann: eine zweijährige Ausbildung an einer vermeintlich renommierten Heilpraktikerschule sowie Erfahrungen mit etlichen heilpraktischen Therapien. Daran schlossen sich vier Jahre Zweifel und Recherchen an. Außerdem viel Kommunikation mit Wissenschaftlern, Ärzten und Skeptikern, also Leuten, die sich für einen kritischen Umgang mit magischen Verheißungen, pseudowissenschaftlichen Parolen und Verschwörungsdenken stark machen. Ohne diese bemerkenswerten Erfahrungen an der Heilpraktikerschule wäre ich heute wahrscheinlich nicht halb so skeptisch und würde meinem Sohn vielleicht auch Globuli füttern. Aber ich musste erkennen, dass das meiste was die Alternativmedizin zu bieten hat, Humbug und Hokuspokus ist, den ich Patienten niemals als wirkungsvoll hätte verkaufen können.